Theater inspiriert von Shakespeares „Wintermärchen“
und Märchen der Brüder Grimm
Ein Stück von Susanne Stern
Menschen werden in Tiere verwandelt und zu Stein Erstarrte erwachen wieder zum Leben, hohe Hecken gedeihen, wenn man sie lässt und die Dämonen der Vergangenheit wollen keine Ruhe geben
— die Bilderwelt der Märchen ist die Inspiration für „Hinter hohen Hecken“. Selbstbestimmung und die Optimierbarkeit des Lebens sind die Kernwerte unserer Zeit. Doch die befreiten Individualisten des
21. Jahrhunderts erleben sich allzu oft festhängend in irrationalen Mustern und leiden an Themen, die unüberwindlich scheinen. Wie frei sind wir wirklich und welche Rolle spielt das persönliche und kollektive Erbe? Sind die Erlebnisse der Vorfahren lebendiger in uns, als wir glauben? Welche Altlasten, Prägungen, archaischen Bilder werden mitgeschleppt in die Zukunft? Muss man die Vergangenheit ausgraben, um die Probleme der Gegenwart zu lösen oder bleiben manche Geister besser ungeweckt?
Auf der Bühne begegnen, irritieren und beeinflussen sich Figuren, die ihre Zukunft suchen und taumeln; die in Tradierungen und Verdrängungen feststecken und nicht genug von ihrer Vergangenheit wissen, um eine eigene Position zu formulieren. Die verstoßene Perdita aus Shakespeares „Wintermärchen“ wird vom passiven Prinzesschen zur Handelnden, die ihre Geschichte sucht. Die co-abhängigen Geschwister aus „Brüderchen und Schwesterchen“ von den Brüdern Grimm kämpfen mit der Sucht. Ein isolierter junger Mann hat sich im Dornröschenschlaf eingewöhnt. Eine Patientin bleibt gern Opfer. Bieten die hohen Hecken Schutz?
Text und Regie: Susanne Stern
Bühne und Licht: Florian Guist
Es spielen: Vivien Andrée, Sabine Böhm, Jan-Urs Hartmann, Christian Kohlhofer, Maria Strauss, Kristine Walther , Frank Zimmermann, Aljoscha Zöller
Die ersten Vorstellungen sind bereits abgeschlossen. Zurzeit gibt es noch keine neuen Termine. Bitte besuchen Sie uns bald wieder. Vielen Dank für Ihr Interesse.
Hintergrund und Material der Textfassung
Inspiration für Figuren und Konflikte sind Texte, die auf zeitlose Weise Verirrungen, Gefühlschaos und Versehrtheit des menschlichen Lebens abbilden: Märchen. Eins stammt aus Shakespeares Alterswerk, zwei von den Brüdern Grimm. Die Geschichten verhandeln Fragen nach Prägungen, ererbter Identität, Heil-Sein und Deformation, die in Zeiten der Fortschrittsgläubigkeit altmodisch anmuten, uns aber nach wie vor umtreiben.
In Shakespeares „Wintermärchen“ wird eine vom tyrannischen Vater in einem paranoiden Schub zersprengte Familie nach vielen Jahren durch unwahrscheinliche Zufälle wieder versöhnt. Die als Baby verstoßene Tochter Perdita kehrt in die Familie zurück und die aus Unglück zur Statue aus Stein erstarrte Mutter Hermione wird wieder zum Leben erweckt.
Unsere Textfassung behält die Grundkonstellation und dreht die Perspektive um. Perdita wird vom passiven Prinzesschen zur Handelnden, die sich selbst auf die Suche nach ihrer Herkunft macht. Die bei Adoptiveltern aufgewachsene Tochter spürt die destruktive Geschichte ihrer echten Familie auf, gräbt verdrängte Gewalt aus und entdeckt ihre Spuren auch bei sich selbst.
„Brüderchen und Schwesterchen“ von den Brüdern Grimm fliehen vor Lieblosigkeit und Misshandlungen in den Wald. Der Bruder trinkt von der Stiefmutter vergiftetes Quellwasser und wird in ein Reh verwandelt. In Liebe und symbiotischer Abhängigkeit verbunden stecken die beiden miteinander fest. Die Situation gerät in Bewegung, als ein König sich in die Schwester verliebt, die Zweierkonstellation aufbricht und neue Perspektiven eröffnet.
Unsere Fassung erzählt dies als Suchtgeschichte und als Kampf um die Integration eines abgespaltenen Teils. Ihre Flucht hat die Geschwister nur oberflächlich befreit. Für den Abhängigen und die Co-Abhängige geht es um einen neuen Weg.
Der hundertjährige „Dornröschenschlaf“ der verfluchten Prinzessin ist in unserer Interpretation Angst vor dem Leben. Stagnation im permanenten Aktionismus und das Zudecken innerer Themen durch äußere Ablenkung sind heutige Versionen des „Schlafs“, des Nicht-Wach-Seins fürs eigene Leben. Ständig mit Konsumangeboten und fiktiver Teilhabe am Leben der anderen beschäftigt, weicht Dornröschen der eigenen Realität aus – bis sie sich in Gestalt von Einsamkeit, Ängsten und körperlichen Symptomen massiv meldet. Die hohe Dornenhecke des Märchens kommt in vielen Formen im Stück und in der Wirklichkeit vor, schließt ein und aus, schützt, fügt Verletzungen zu.
Eine Patientin wartet auf ihr Ende. Sie leidet an einer nicht definierten unheilbaren Krankheit. In der Bildsprache der Märchen wäre eine Figur wie sie verwandelt oder verflucht, zur Strafe für eigene Missetaten oder Vergehen der Elterngeneration. In dieser Figur scheint das Phänomen der in unserem Teil der Welt rasant zunehmenden Autoimmun-Erkrankungen auf – paradoxe psychosomatische Symptome, mit denen Körper sich gegen sich selbst wenden, als würden sie verzweifelt versuchen, auf die in ihnen wohnenden Seelen aufmerksam zu machen. Die Patientin akzeptiert ihren Opferstatus und genießt die Sonderrolle, fragt nicht nach Gründen oder der Verbindung der Krankheit zur eigenen Geschichte.